Reanimation 2025 – Die wichtigsten medizinischen und strukturellen Änderungen der neuen Leitlinien

Veröffentlicht am 13. November 2025 um 14:53

Am 22. Oktober 2025 hat der European Resuscitation Council (ERC) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Rat für Wiederbelebung (GRC) die neuen Leitlinien zur Reanimation 2025 vorgestellt.
Sie beruhen auf der aktuellen Evidenz des International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR) und ersetzen die Leitlinien von 2021.

Die 2025er-Version bringt keine radikale Neuausrichtung, wohl aber eine Vielzahl von präzisen Anpassungen, Klarstellungen und Priorisierungen, die sowohl den klinischen Alltag als auch die Ausbildung verändern.

Neue Reanimations-Leitlinien 2025

1. Struktur und Leitgedanke

Die viergliedrige Überlebenskette bleibt erhalten, wurde aber inhaltlich geschärft:

  • Das erste Glied betont nun ausdrücklich die Prävention des Kreislaufstillstands.
  • Das zweite Glied fasst CPR und Defibrillation als kombinierte Kernmaßnahmen zusammen.
  • Das dritte Glied vereint erweiterte und Postreanimationsmaßnahmen,
  • das vierte Glied fokussiert die Genesung und Lebensqualität.

Damit rücken Langzeitüberleben, neurologisches Outcome und Rehabilitation erstmals auf eine Stufe mit der Akuttherapie.


2. Basismaßnahmen (BLS): Fokus auf Qualität und Erkennbarkeit

Die BLS-Empfehlungen wurden überarbeitet, um die Effizienz der Erstmaßnahmen zu verbessern.

Wesentliche Neuerungen:

  • Erkennen des Kreislaufstillstands:
    Betonung auf sofortiges Handeln bei Unsicherheit. Wenn keine normale Atmung vorliegt, soll ohne Verzögerung mit Thoraxkompressionen begonnen werden.

  • Rolle der Leitstelle:
    Die Telefonreanimation wird als verpflichtender Bestandteil der Rettungskette definiert. Disponenten sollen aktiv anleiten, früh erkennen und die Qualität der Reanimation telefonisch sichern.

  • Thoraxkompressionen:
    Tiefe, Frequenz (100–120/min) und Minimierung der Unterbrechungen bleiben Standard, jedoch mit verstärkter Betonung von Echtzeit-Feedback-Systemen und Teamkoordination.

  • Beatmung:
    Für Laien bleibt die „Compression-only“-CPR empfohlen, wenn keine Beatmung möglich ist. Im professionellen Bereich bleibt die 30:2-Kompressions-Ventilations-Ratio bestehen.

  • AED-Nutzung:
    Früher und breiterer Einsatz automatisierter Defibrillatoren wird gefordert – insbesondere über organisierte Ersthelfersysteme und Smartphone-basierte Alarmierungen.

  • Sicherheitsaspekte:
    Neu ist ein strukturierter Abschnitt zu Eigenschutz, Umgebungskontrolle und elektrischer Sicherheit.

3. Defibrillation: Präziser, früher, teamorientierter

Die Defibrillation erfährt 2025 die deutlichsten Änderungen innerhalb der ALS-Algorithmen:

Neu oder geändert:

  • Früher Schock bei schockbarem Rhythmus:
    Der „shock-first-Ansatz“ wird gestärkt – sobald der Defibrillator verfügbar ist, soll der Schock unverzüglich abgegeben werden, noch vor der Medikamentengabe.

  • Minimierung der Pausen:
    Jede Unterbrechung vor und nach dem Schock soll <5 Sekunden betragen.
    „Charging during compressions“ wird ausdrücklich empfohlen, um Hands-off-Zeit zu minimieren.
  • Energieniveaus:
    Die Leitlinien präzisieren die initialen Energien bei biphasischen Geräten (meist 150–200 J) und empfehlen eine Eskalation auf 200–360 J, wenn der erste Schock erfolglos bleibt.

  • Pad-Positionen:
    Die alternative antero-posteriore Platzierung wird stärker berücksichtigt – besonders bei persistierendem Kammerflimmern, Implantaten oder anatomischen Hindernissen.
  • Defibrillation in Teams:
    Teamkommunikation, klare Rollenverteilung und das „Defibrillation-Ready“-Signal werden betont, um Verzögerungen zu vermeiden.

Eingestellt oder abgeschwächt:

  • Kein Vorteil für Dual-Sequential-Defibrillation – diese Option wird nicht mehr aktiv empfohlen.
  • Der Fokus liegt auf standardisierter Einzeldefibrillation mit optimaler Technik.

4. Erweiterte Maßnahmen (ALS): Strukturierte Prioritäten statt Dogmen

Die ALS-Empfehlungen wurden methodisch überarbeitet und folgen nun klaren klinischen Prioritäten.

Neue oder angepasste Punkte:

  • Atemweg:
    Priorität liegt auf einfachen Atemwegshilfen (Beutel-Maske, supraglottisch).
    Intubation nur durch erfahrenes Personal und ohne Unterbrechung der Kompressionen.
    Kapnographie ist verpflichtend zur Lagekontrolle und Reanimationsbeurteilung.
  • Medikamente:
    • Adrenalin: bleibt fester Bestandteil, aber Zeitpunkt präzisiert – nach dem dritten Schock bei schockbaren Rhythmen, sofort bei nicht schockbaren Rhythmen.
    • Amiodaron: weiterhin bei persistierendem Kammerflimmern oder pulsloser VT nach dem dritten Schock.
    • Lidocain wird als mögliche Alternative erwähnt.
    • Kein routinemäßiger Einsatz von Vasopressin oder Kalzium.

  • ECPR:
    Extrakorporale Reanimation wird als Option in ausgewählten Zentren beibehalten – kein genereller Standard.

  • Sonographie:
    Point-of-care-Ultraschall wird zur Identifikation reversibler Ursachen (H- und T-Kriterien) empfohlen, darf aber keine CPR-Unterbrechung verursachen.

Eingestellt oder zurückgenommen:

  • Kein routinemäßiger Einsatz von Adrenalin in sehr frühen Phasen bei schockbaren Rhythmen.
  • Kein Vorteil mehr für routinemäßige Doppeldefibrillation oder mechanische Kompressionsgeräte ohne klaren Nutzen.

5. Postreanimationsbehandlung: Weg von starren Schemata

Die Phase nach erfolgreicher Reanimation erhält deutlich mehr Gewicht.

Neuerungen:

  • Atemweg und Kreislauf:
    Frühzeitige Stabilisierung, Normoventilation und Vermeidung von Hypoxie und Hypokapnie.

  • Temperaturmanagement:
    Kein fester Zielwert mehr. Stattdessen: Vermeidung von Hyperthermie und individuelle Temperatursteuerung.
    Das frühere „Targeted Temperature Management“ (TTM mit 32–36 °C über 24 h) wird nicht mehr als Standard gefordert.

  • Neurologische Prognose:
    Multimodaler Ansatz – klinische, apparative und laborchemische Parameter, keine isolierte Entscheidung nach Zeitintervall.

  • Rehabilitation:
    Nachsorge und multidisziplinäre Rehabilitation (neurologisch, kardiologisch, psychosozial) werden verpflichtend empfohlen.

6. Besondere Situationen

Erweitert wurden die Empfehlungen bei:

  • Hypothermie, Trauma, Ertrinken, Schwangerschaft und Vergiftungen
    mit klaren, praxisorientierten Anpassungen.
  • Organspende nach Kreislaufstillstand: unkontrollierte Spende wird erstmals explizit thematisiert.

7. Strukturelle und gesellschaftliche Neuerungen

Neben den klinischen Inhalten bringen die Leitlinien 2025 deutliche strukturelle Forderungen:

  • Telefonreanimation:
    Wird als Standard für alle Leitstellen in Europa gefordert – inkl. Qualitätsmonitoring.

  • Ausbildung:
    Programme wie „Kids Save Lives“ sollen flächendeckend umgesetzt werden.
    Zwei Stunden Wiederbelebung jährlich ab der 7. Klasse werden empfohlen.

  • Ersthelfersysteme:
    Organisationen sollen App-basierte Alarmierungen und AED-Netzwerke einführen.
    Damit steigt die Früh-CPR-Quote – derzeit in Europa im Schnitt 58 %, mit Ziel >70 %.

  • Cardiac Arrest Centers (CAC):
    Werden als verpflichtende Versorgungsebene definiert – mit standardisierten Abläufen und Datenregistrierung.
  • Daten und Qualität:
    Erfassung und Feedbacksysteme (Utstein-Schema) werden für Klinik und Präklinik gefordert.

Fazit

Die Reanimationsleitlinien 2025 liefern keine Revolution, sondern eine präzise Weiterentwicklung.
Sie verlagern den Fokus von technischen Einzelschritten auf Systemdenken, Qualität und Nachsorge.
Für medizinisches Fachpersonal bedeutet das:

  • konsequente Anwendung der Basismaßnahmen,
  • effiziente Teamkommunikation,
  • intelligente Nutzung von Technik,
  • und klare Verantwortung über die Akutphase hinaus.

Reanimation 2025 steht für Evidenz, Struktur und Systemqualität – mit dem Ziel, mehr Leben zu retten und bessere Ergebnisse zu erzielen.


Quelle:
Reanimation 2025 – Leitlinien kompakt, Deutscher Rat für Wiederbelebung (GRC) / European Resuscitation Council (ERC), 1. Auflage 2025.


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